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#1
von C: • Lord of the Board | 7.782 Beiträge | 8164 Punkte
Die Zeitung und der Konzertbericht
in KONZERT-AGENTUR 09.01.2009 13:06von C: • Lord of the Board | 7.782 Beiträge | 8164 Punkte
Also denen fällt nix mehr ein und sie meinen, keinem fällt es auf, oder wie?
Manchem schon:
Rock-Pop-Wahnsinn: Bagalutenwiehnacht und Vergangenheitsseligkeit
Bis zum Verlust der Muttersprache
Torfrock, Deichkind, Farin Urlaub und die Nokia-Proms: Das Wochenende bot ein schrilles Gegenprogramm zum Advent.
Von Tino Lange, Heinrich Oehmsen und Holger True
Schlauchboot-Tour im Docks: Deichkinds Konzert war wieder ein Heidenspaß. Foto: Malzkorn
Hamburg -
Jeder hat das Recht auf ein bisschen Wahnsinn. Einen Abend lang, ein Konzert über. Und jeder versteht den damit verbundenen Ausstieg aus dem Alltag anders. Er kann sich in der "Säufersolidarität" wiederfinden, wie ihn die Hip-Hop-Band Deichkind propagiert, oder als nostalgischen Ausflug in die eigene Vergangenheit, zu Popstars, deren Erfolge lange zurückliegen. Am Wochenende gab es in Hamburg gleich vier Beispiele für diese Alltagsflucht, die eine Gemeinsamkeit teilten: Sie wirkten wie Gegenentwürfe zur adventlichen Besinnlichkeit.
"Kein Gott! Kein Staat! Lieber was zu saufen!": Das Deichkind-Zitat wird in der Sporthalle zum Manifest. Torfrock hat zur 18. Bagalutenwiehnacht geladen. Das bedeutet: "Odin statt Jesus" auf dem T-Shirt, Hörner am Filzhelm und 7000 Wikinger mit zornigem Durst. Vor 1000 Jahren konnte man mit so einer Truppe halb Europa ausplündern, Torfrock beschränkt sich zum Glück darauf, die im Trommelfeuer der halb geleerten XXL-Bierbecher tobende Meute mit "alten wikingischen Gesängen" zu unterhalten: "Wir saufen den Met, bis keiner mehr steht!" Das geht bis zum Verlust der Muttersprache, der Flüssigkeitspegel steigt auch auf dem Hallenboden. Auf den WCs hört so mancher die Glocken vom Kloster drüben, stützt die Wand mit Händen ab ("einstuzzgefährd!") oder wringt sich das Pils aus der Jacke. Beinhart. Wie kriegt man so eine Halle wieder trocken?
Wie auch immer, die Reinigungstruppe war auf Zack, denn von Torfrocks Bagalutenwiehnacht ist beim ausverkauften Konzert von Farin Urlaubs "Racing Team" am nächsten Abend nichts mehr zu sehen oder zu riechen. Dafür müffelt es nach dem Schweiß der Aufregung, den 7000 euphorisierte Fans verbreiten. Erstaunlich: Obwohl der Ärzte-Sänger schon 45 Jahre auf dem Blondschopf hat, dominieren Teens und Twens die bunte Fanschar. Urlaub beginnt pünktlich und liefert für jeden bezahlten Euro einen Song - gut 30 Titel stehen nach zwei Stunden auf der Setliste, die dem Prinzip "Racing Team" alle Ehre macht. Die Band bringt die Masse zum Pogo, zur Trampel-La-Ola, und bei "Zehn" zum Erdbeben. Für Bier haben die Fans keine Zeit, höchstens für eine Fanta.
Ein Wahnsinn der anderen Art nimmt zur selben Zeit in der Color-Line-Arena seinen Lauf. "Nokia Night Of The Proms 2008 in Hamburg", ruft Moderator Uwe Bahn ein ums andere Mal ins Rund - eine Ansage, die hilft, sich immer wieder zu vergewissern, dass niemand eine Zeitmaschine angeworfen hat, sondern wir uns in der Gegenwart befinden. Einer finsteren allerdings, denn so mancher, der sich hier auf die Bühne schleppt, hat schon bessere Zeiten erlebt. Kim Wilde zum Beispiel, für die inzwischen ein 15-minütiger Best-of-Auftritt die einzige Alternative zum Dschungelcamp scheint. Zu enge Jeans, zu dickes Make-up und eine Stimme, über die der aushelfende Gospelchor den Mantel des Wohlklangs hüllt.
Chor-Unterstützung braucht auch Tears For Fears, doch immerhin gelingt Curt Smith and Roland Orzabal der einzige bewegende Moment des mehr als dreistündigen Abends: Als die ersten Takte von "Everybody Wants To Rule The World" erklingen, stehen Tausende auf und singen mit - eine kollektive Jugenderinnerung. Doch jeder Anflug von Sentimentalität wird gnadenlos ausgemerzt. Neben einem Orchester, das für gleichbleibende Weichspül-Begleitung sorgt, hat es auch ein Musik-Comedy-Duo namens Igudesman & Joo nach Stellingen verschlagen, das Humor wie diesen bietet. Joo: "Spiel ein B statt dem H!" Igudesman: "BH?" Haha.
Soweit der Bericht von 2007, der 18.
und hier der Artikel von 2008, der 19. Wiehnacht...
Rock-Pop-Wahnsinn: Bagalutenwiehnacht und Vergangenheitsseligkeit
Bis zum Verlust der Muttersprache
Torfrock, Deichkind, Farin Urlaub und die Nokia-Proms: Das Wochenende bot ein schrilles Gegenprogramm zum Advent.
Bizarrer Höhepunkt der Veranstaltung: der Auftritt von Ex-Bee-Gee Robin Gibb, der mit eingefrorenem Grinsen und bei jedem Applaus hochgerissenen Armen wirkt, als hätten ihn Aliens auf der Erde vergessen.
An Aliens erinnern auch jene acht Figuren, die zur gleichen Zeit im Docks in neongrellen Outfits aus Müllsäcken auf Trampolinen hopsen, mit Super Soakers Wasser verspritzen und sich in einem Schlauchboot von der Menge tragen lassen. Elektrobeats dröhnen aus den Lautsprechern, dazu skandieren die Müllsackmänner Slogans wie "Arbeit nervt!" Das Docks als Tollhaus. Deichkind ist zur vorweihnachtlichen Bescherung mit einem anarchischen Kostümfest zurück.
Die Spaßband zelebriert den Exzess, das wirkt wild, ist jedoch wohlüberlegt und choreografiert. Sie ist der Anheizer eines kollektiven Kontrollverlustes, die Menge brüllt die schlichten Refrains mit, bis die Stimme versagt, einige besorgen sich die bei Freiluftkonzerten obligatorische Bierdusche selbst. Das Spektakel frönt einem hemmungslosen Hedonismus und propagiert das Recht auf Rausch, doch anders als bei Torfrock gibt es kaum betrunkene Fans. Die meisten sind abgekämpft, aber glücklich als Teil einer virtuosen Chaos-Party.
Nach dem Konzert hat die Wirklichkeit sie wieder. Nur ein paar Vorstadtjungs taumeln noch über auf den Spielbudenplatz, einer lässt die Jeans herunter, um in aller Öffentlichkeit seine Unterhose zu richten. Vielleicht schenkt ihm an Heiligabend jemand einen Wikingerhelm, dann kann er im kommenden Jahr Bagalutenwiehnacht feiern.
erschienen am 22. Dezember 2008
Leicht verdientes Geld... obwohl ich zugeben muß, der erste ist schön geschrieben
Manchem schon:
Rock-Pop-Wahnsinn: Bagalutenwiehnacht und Vergangenheitsseligkeit
Bis zum Verlust der Muttersprache
Torfrock, Deichkind, Farin Urlaub und die Nokia-Proms: Das Wochenende bot ein schrilles Gegenprogramm zum Advent.
Von Tino Lange, Heinrich Oehmsen und Holger True
Schlauchboot-Tour im Docks: Deichkinds Konzert war wieder ein Heidenspaß. Foto: Malzkorn
Hamburg -
Jeder hat das Recht auf ein bisschen Wahnsinn. Einen Abend lang, ein Konzert über. Und jeder versteht den damit verbundenen Ausstieg aus dem Alltag anders. Er kann sich in der "Säufersolidarität" wiederfinden, wie ihn die Hip-Hop-Band Deichkind propagiert, oder als nostalgischen Ausflug in die eigene Vergangenheit, zu Popstars, deren Erfolge lange zurückliegen. Am Wochenende gab es in Hamburg gleich vier Beispiele für diese Alltagsflucht, die eine Gemeinsamkeit teilten: Sie wirkten wie Gegenentwürfe zur adventlichen Besinnlichkeit.
"Kein Gott! Kein Staat! Lieber was zu saufen!": Das Deichkind-Zitat wird in der Sporthalle zum Manifest. Torfrock hat zur 18. Bagalutenwiehnacht geladen. Das bedeutet: "Odin statt Jesus" auf dem T-Shirt, Hörner am Filzhelm und 7000 Wikinger mit zornigem Durst. Vor 1000 Jahren konnte man mit so einer Truppe halb Europa ausplündern, Torfrock beschränkt sich zum Glück darauf, die im Trommelfeuer der halb geleerten XXL-Bierbecher tobende Meute mit "alten wikingischen Gesängen" zu unterhalten: "Wir saufen den Met, bis keiner mehr steht!" Das geht bis zum Verlust der Muttersprache, der Flüssigkeitspegel steigt auch auf dem Hallenboden. Auf den WCs hört so mancher die Glocken vom Kloster drüben, stützt die Wand mit Händen ab ("einstuzzgefährd!") oder wringt sich das Pils aus der Jacke. Beinhart. Wie kriegt man so eine Halle wieder trocken?
Wie auch immer, die Reinigungstruppe war auf Zack, denn von Torfrocks Bagalutenwiehnacht ist beim ausverkauften Konzert von Farin Urlaubs "Racing Team" am nächsten Abend nichts mehr zu sehen oder zu riechen. Dafür müffelt es nach dem Schweiß der Aufregung, den 7000 euphorisierte Fans verbreiten. Erstaunlich: Obwohl der Ärzte-Sänger schon 45 Jahre auf dem Blondschopf hat, dominieren Teens und Twens die bunte Fanschar. Urlaub beginnt pünktlich und liefert für jeden bezahlten Euro einen Song - gut 30 Titel stehen nach zwei Stunden auf der Setliste, die dem Prinzip "Racing Team" alle Ehre macht. Die Band bringt die Masse zum Pogo, zur Trampel-La-Ola, und bei "Zehn" zum Erdbeben. Für Bier haben die Fans keine Zeit, höchstens für eine Fanta.
Ein Wahnsinn der anderen Art nimmt zur selben Zeit in der Color-Line-Arena seinen Lauf. "Nokia Night Of The Proms 2008 in Hamburg", ruft Moderator Uwe Bahn ein ums andere Mal ins Rund - eine Ansage, die hilft, sich immer wieder zu vergewissern, dass niemand eine Zeitmaschine angeworfen hat, sondern wir uns in der Gegenwart befinden. Einer finsteren allerdings, denn so mancher, der sich hier auf die Bühne schleppt, hat schon bessere Zeiten erlebt. Kim Wilde zum Beispiel, für die inzwischen ein 15-minütiger Best-of-Auftritt die einzige Alternative zum Dschungelcamp scheint. Zu enge Jeans, zu dickes Make-up und eine Stimme, über die der aushelfende Gospelchor den Mantel des Wohlklangs hüllt.
Chor-Unterstützung braucht auch Tears For Fears, doch immerhin gelingt Curt Smith and Roland Orzabal der einzige bewegende Moment des mehr als dreistündigen Abends: Als die ersten Takte von "Everybody Wants To Rule The World" erklingen, stehen Tausende auf und singen mit - eine kollektive Jugenderinnerung. Doch jeder Anflug von Sentimentalität wird gnadenlos ausgemerzt. Neben einem Orchester, das für gleichbleibende Weichspül-Begleitung sorgt, hat es auch ein Musik-Comedy-Duo namens Igudesman & Joo nach Stellingen verschlagen, das Humor wie diesen bietet. Joo: "Spiel ein B statt dem H!" Igudesman: "BH?" Haha.
Soweit der Bericht von 2007, der 18.
und hier der Artikel von 2008, der 19. Wiehnacht...
Rock-Pop-Wahnsinn: Bagalutenwiehnacht und Vergangenheitsseligkeit
Bis zum Verlust der Muttersprache
Torfrock, Deichkind, Farin Urlaub und die Nokia-Proms: Das Wochenende bot ein schrilles Gegenprogramm zum Advent.
Bizarrer Höhepunkt der Veranstaltung: der Auftritt von Ex-Bee-Gee Robin Gibb, der mit eingefrorenem Grinsen und bei jedem Applaus hochgerissenen Armen wirkt, als hätten ihn Aliens auf der Erde vergessen.
An Aliens erinnern auch jene acht Figuren, die zur gleichen Zeit im Docks in neongrellen Outfits aus Müllsäcken auf Trampolinen hopsen, mit Super Soakers Wasser verspritzen und sich in einem Schlauchboot von der Menge tragen lassen. Elektrobeats dröhnen aus den Lautsprechern, dazu skandieren die Müllsackmänner Slogans wie "Arbeit nervt!" Das Docks als Tollhaus. Deichkind ist zur vorweihnachtlichen Bescherung mit einem anarchischen Kostümfest zurück.
Die Spaßband zelebriert den Exzess, das wirkt wild, ist jedoch wohlüberlegt und choreografiert. Sie ist der Anheizer eines kollektiven Kontrollverlustes, die Menge brüllt die schlichten Refrains mit, bis die Stimme versagt, einige besorgen sich die bei Freiluftkonzerten obligatorische Bierdusche selbst. Das Spektakel frönt einem hemmungslosen Hedonismus und propagiert das Recht auf Rausch, doch anders als bei Torfrock gibt es kaum betrunkene Fans. Die meisten sind abgekämpft, aber glücklich als Teil einer virtuosen Chaos-Party.
Nach dem Konzert hat die Wirklichkeit sie wieder. Nur ein paar Vorstadtjungs taumeln noch über auf den Spielbudenplatz, einer lässt die Jeans herunter, um in aller Öffentlichkeit seine Unterhose zu richten. Vielleicht schenkt ihm an Heiligabend jemand einen Wikingerhelm, dann kann er im kommenden Jahr Bagalutenwiehnacht feiern.
erschienen am 22. Dezember 2008
Leicht verdientes Geld... obwohl ich zugeben muß, der erste ist schön geschrieben
PC ist wie U-Boot fahren. Kaum das Du ein Fenster aufmachst, fangen die Probleme an.
zuletzt bearbeitet 09.01.2009 13:10 |
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#2
von holde MaiD • MuWikus | 2.800 Beiträge | 2911 Punkte
RE: Die Zeitung und der Konzertbericht
in KONZERT-AGENTUR 09.01.2009 13:11von holde MaiD • MuWikus | 2.800 Beiträge | 2911 Punkte
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#3
von C: • Lord of the Board | 7.782 Beiträge | 8164 Punkte
RE: Die Zeitung und der Konzertbericht
in KONZERT-AGENTUR 09.01.2009 13:15von C: • Lord of the Board | 7.782 Beiträge | 8164 Punkte
Ist doch n Klopper oder?
Sogar die selben Überschriften und das da nun auch Deichkind... Farin Urlaub hat am 20.12. in der versumpften Halle gespielt. Wir waren am 19.12. da.
Aber schön geschrieben ist der erste trotzdem.
PC ist wie U-Boot fahren. Kaum das Du ein Fenster aufmachst, fangen die Probleme an.
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